14.-22.6.2003: Berlin / Nordsee Tour
Gestern war Freitag, der 13. 6. 2003... Ab heute geht es nordwärts.
Wir, eine kleine, aber feine Gruppe: Lisy auf ihrer R1100GS, Elisabeth und Buffalo (Franz) R1100RT, Heinz-Dieter K1, und die drei K1200LT-Fahrer Andy (unser Guide), Wolf und ich (Gerhard). Später in Berlin stießen Norbert und Jürgen per Flieger dazu – warum? Man kann doch auch mit dem Bike fliegen (sorry Norbert), und für Jürgen waren acht Tage Urlaub jetzt nicht drinnen.
Die Tour lag zwischen Sommersonnenwende und Freitag den 13. Vielleicht war sie deswegen nicht immer frei von Stress, jedoch zumindest geistreinigend. Es war kein „nur“ deutsch - österreichischer Trip. Erlebnis pur begann vom tschechischen Boden, bis weit in die ehemalige DDR - Das Deutsche Reparaturzentrum.
Aber schön der Reihe nach: Wien - Kleinhaugsdorf - Znaim - Jihlava. Dort wollten wir Lunchen, aber inmitten vieler Leute fanden wir einfach keinen Platz der spazierengehen, Gepäck beobachten und gut essen bot. Eine Tankstelle später war dann auch nett. Prag lag am Weg, aber war eigentlich nur für die Bikes mit genug Stauraum geeignet um unbeaufsichtigt zu parken. So gönnte nur ich mir am Altstädter Rathaus mit astronomischer Aposteluhr und zwischen Gauklern auf der malerischen Karlsbrücke eine Pause. Allein und Schleichwege nützend waren es dann nur 80 Minuten zu unserem Nachtlager, einer urigen Schihütte in Kliny, auf 950 m, nahe Teplice. Zwar hatten wir so manche Hütte schon erlebt, nichts aber dergleichen als Combo: Rundum Natur: friedlich. Die einzige Gaststätte weit und breit: urig. Direkt vor unserem Bett: Livemusik bis 3 h Früh. Da war Slibowitz und Bier, bei bestem Preis/Leistungsverhältnis, die bessere Alternative als Schlafen. Dass aber auch so manches Brusthaar, Tanzbein und Jugendrevolte gesichtet wurde, hat uns Wolf, der diese Unterkunft organisierte, nicht erzählt.
Nach eingehender Inspektion der unzähligen Duty-free Läden an der CZ-BRD Grenze, die ausschließlich von Vietnamesen betrieben werden, ging es tags darauf über Neuhaus, einer neuen Grenzstation nach Sachsen und Berlin. Was war die Abkürzung. für DDR? Die vielen Veränderungen da bedeuten naturgemäß gedrucktes Kartenmaterial ist veraltet und Baustellen führen zu Umleitungen. Wenn es allerdings Umleitungen in Umleitungen gibt, dann sprechen wir erstens nicht von Abkürzung, und zweitens lässt das jeden, auch nicht unseren Tourguide Andy cool. Es war immer spannend zu erfahren, wo man sich nach vielen guten Ratschlägen, wieder fand. Gerade nach langen Ritten kann sich dann Frust dazu paaren, erst recht wenn trotz Erinnerung die Straße hier ist aber laut Plan nicht ihr Name, weil die vorkommunistische Bezeichnung wieder eingeführt wurde. Dafür entschädigte das erstklassig gelegene Hotel Ibis im Ostteil von Berlin. Beste Voraussetzungen, speziell das Frühstück, um Berlin näher zu treten.
In Berlin verfolgt einem die jüngere Geschichte auf Schritt und Tritt.
Zwei Städte, jede größer als Wien, deren Infrastruktur, Systemdenken, und Standards wieder zu vereinen stehen weltweit beispiellos da. Dazu mixe man preussische und gerade dort „braune“ Geschichte und fertig ist ein Cocktail, kaum in Worte zu fassen. Neben Sightseeing war für uns Berlin aber auch voller Verpflichtungen: Da war der Empfang in der österreichischen Botschaft und Führung durch das prominent plazierte, neue Hollein-Gebäude. Wir überreichten dabei die eigens „nachgeflogenen“ (Jürgen, Norbert) Gastgeschenke (Sachertorte) der deutschen Botschaft in Wien, bestens von Bertram vorbereitet. Zu den diplomatischen Gesprächen gesellte sich die Kunst des Rockenschaub‘s (es waren schwarz bemalte Wände, und irgendwo ein gelbes Plexiglas) bzw. die Begrüßung des gerade angekommenen Alt-Ministers Mock.
Der Reichstag war ein anderes Highlight, gerade der Geschichte wegen, aber auch der 25 m hohen Kuppel wegen - ein komplexes Gebilde aus Stahl, Glas und Technik mit zwei gegenläufigen Rampen, gleich einer Wendeltreppe in den Himmel mit toller Aussicht, nebenbei von Wagner-Biro gebaut. Wir waren angekündigt, wurden direkt vorgelassen, ohne Wartezeit, Vitamin B macht's möglich. Danke Jürgen.
Die BMW Fabrik
Schließlich kam aber der eigentliche Grund unserer Tour, der Geburtsort eines jeden BMW-Motorrads, und das schon seit mehr als 75 Jahren. Es ist ein High-Tech Center - diese Produktionsstätte nähe Spandau (ja, diesem Gefängnis). Wir hatten 2 Stunden geplant und blieben dann doppelt so lang. Ein fachlich perfekter Betreuer, unterstützt von Filmen im Besucherzentrum und Funkhörer im lauten Produktionsumfeld, versorgte uns mit Fakten und Hintergrund über den heutigen Stand der Technik.
Steil, wie und wo im Assembling auf die Qualitätskontrolle integriert ist. Manche Produktionsschritte laufen ungebremst, andere werden umso mehr geprüft. Die Geburt vom Boxer-Moter und der F650 erlebten wir live bis zur Endkontrolle, obwohl die RT, GS und LT natürlich uns noch lieber gewesen wäre. Dort aber wurde eine neue Modelserie vorbereitet, was für unsere Augen, bzw. unser Kaufverhalten, nicht so günstig wäre - das nehmen wir aufgrund kryptischer Bemerkungen einmal so an. Aufschlußreich waren gerade simple Methoden: zum Beispiel wird die Kurbenwellenbohrung des Pleuel mittels 40 Tonnen Zugkraft gebrochen, dann über die Kurbelwelle gesteckt und mit Spezialkleber genau im Gußbruch wieder zusammengeklebt. Dank Klebetechnik und Bruchlinie hält es unverrückbar genau wieder zusammen.
Im Zwei- und Dreischichtbetrieb arbeiten laufend wechselnde und damit besser motivierte und trainierte Kleinteams am Zusammenbau, während Materialien durchwegs vollautomatisch maschinengestützt (Roboter und NC-Maschinen) produziert werden. Produktionskritische Daten aus der Herstellung werden laufend über BMW-Netze mit Daten der Entwickler in München verglichen. Diese Kombination zusammen mit der neben der Autoentwicklung in München angesiedelten Entwicklungsteams machen wohl den BMW-spezifischen Vorteil aus. Verglichen mit der Führung erschien uns dann die Einladung zum Buffet - obwohl erstklassig - nur zweitrangig.
Berlins Nachtleben, sein Ku'damm hat gegenüber früher stark nachgelassen. Es gibt einfach zu viele Plätze inzwischen. Da waren die drei Tage in Berlin viel zu wenig, obwohl wir auf der Spree, Sony Center, Technisches Museum, Museumsinsel, Alexander Turm, usw. getourt sind. Aber so mancher hat ja noch einen Koffer in Berlin, und wird daher wieder kommen.
So ziehen wir weiter nordwärts, der Sonnwend‘-grenze näher, auf die Höhe Dänemarks nach Rügen. Die preussische Gründlichkeit war ja schon im Straßenverkehr Berlins ersichtlich, dort erschien mir die STVO gelebte Disziplin (im Vergleich zum Wiener Gürtel). Doch die vielen unnötigen Rotlichtkamera-Boxen sind schon schwerer zu erklären, wenn in vielen der kleinen Orte mit breiten Straßen und kaum Verkehr, geblitzt wird. Oder auch die praxisfremde Kurzparkzonenregeln für Biker schießt daneben. Dort braucht nämlich jedes Bike einen Schein, auch wenn fünf davon auf nur einen Autoparkplatz stehen. Kabarettreif waren die Erklärungen und Bemühungen der Polizisten uns die Logik, Gerechtigkeit, usw. zu erklären.
Heinz Dieter schied wegen Verwandtenbesuch aus, und ich folgte meinem Namen, in das etwa 50 km abseits gelegene Stölln. Dort ist der älteste Flugplatz der Welt, wo die heutige Flugfahrt vom Flugpionier Otto Lileinthal ihren Anfang nahm. Beim 2500sten Sprung vom 110 m hohen Gollenberg stürzte er 1895 aus 15m tödlich ab. Die heute noch fliegende "Ettrichtaube" ging aus seinen Arbeit hervor. Zu seinen Ehren landete ein 80 t schwerer VerkehrsJet auf der Segelflugwiese!
Vom dortigen Museum etwas schlauer, stieß ich im Seengebiet wieder zur Gruppe, über die „Deutsche Alleenstraße“. Fast jede Straße scheint dort "bebaumt" zu sein - ein, auf die Dauer, nicht zu unterschätzender Konzentrationstest für Biker.
Fahren in Rügen an der Ostsee ist erstaunlich, zumal immer relativ starker Wind weht. Man fährt ständig in leichter Schräglage. Es gibt in den Bergen sicherlich mehr Kurven und Gefälle, dafür keinen halbstündig wechselnden Sonnenschein mit Wolkenbruch oder einen vom Wind gekippten LKW oder gesperrte Schleusen - wegen zu rauhen Seegangs. Neu war für uns, dass die 70 km große Insel zu den sonnenreichsten Plätzen von Deutschland gehört.
Alternativ führt eine Brücke zur Insel, wenn sie nicht schon weit vorher mit Autos verlegt ist. Dank unserer Einspurbreite fanden wir Vorfahrmöglichkeiten, natürlich nur, wenn sie gerade nicht hochgekippt ist. Die Insel erinnert stark an Burgenland, Neusiedlergebiet. Flach, wenig bewaldet, Naturschutzgebiet, Häuser mit Riesendächer, Stroh. Strandkörbe auf weissem Sand gibt es aber nur an der Ost- und Nordsee, wegen dem ewigen Wind, ideal für unzählige Windkraftwerke. Am nächsten Tag war Wolf vor allem vom dortigen 'Häusel' angetan: Ein scheinbar einziges Klo am Nordzipfel Kap Arcona, das von den Touristenschlangen bestaut und bei Besuch mit 1 Euro abgesahnt wird. Während die einen die Leuchttürme bewunderten, träumte Wolf von den Verdienstmöglichkeiten...
Am Festland vor der Brücke liegt Stralsund, Weltkulturerbe, mit einer historischen Altstadt, wie in anderen Hansestädten. Aber mangels Geld und freier Marktwirtschaft ist diese Stadt ursprünglich erhalten geblieben und zu Recht ausgezeichnet. Trotz Mittelalter war die Gastronomie durchaus zeitgemäß und gut.
Danach war Geduld gefragt, denn Stau, Regen und Wind zwang uns die Route zu kürzen und südlichere Gegenden nahe Prenzlau nach Quartier Ausschau zu halten. Wir hatten zwar Zelt und Schlafsack für den Norden vorgesehen, nicht aber bei 98% Luftfeuchtigkeit. Andy fuhr geradewegs in ein (offenes) Fabrikstor und kam mit dem Wissen, wo in einem Dorf eine getarnte, nette Privatpension zu finden ist. Gerade noch rechtzeitig vorm nächsten Wolkenbruch bezogen wir Obergeschoss mit Gemeinschaftsraum und Küche. Dort lag ein Gästebuch auf – mit noch vielen leeren Seiten. Nach uns war es um eine ärmer, dafür um dieses Epos reicher.
Der vorletzte Tag führte über Dresden nach wieder nach Kliny/CZ. In Dresden, einst Kunststadt, dann Synonym für apokalyptische Zerstörung, verändert eine noch umfassendere Bautätigkeit als sonst, das Gesicht der Stadt. Symbolisch dafür sei die Frauenkirche genannt. Neue Steine zugeschnitten, finden sich neben alten originalen Steinen. Ähnlich wie bei unserem Stephansdom ist der Wiederaufbauwille ungebrochen: Was ist ist, was nicht ist, ist möglich. Vermutlich wussten das auch schon Goethe, Schiller und Kleist an Dresden zu schätzen.
Südwärts an der sächsische Schweiz vorbei, über das 1000 m hohe Erzgebirge nach Böhmen, warteten schon unsere Musikanten, wie jeden Samstag, vor unserer Schlafzimmertür. Weil die letzte Nacht dieser Tour die erste somit trifft, ist der Kreis, die Tour, fast geschlossen. Die restlichen 420 km waren eine Genußfahrt bei blauen Himmel. Wir beendeten sie um eine Erfahrung reicher: hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang stecken noch jede Menge anderer interessanter Trips und Fahrspaß. Das meinen wir nach unseren 2700 km.
Gerhard Stöllner